Denn sie wissen nicht, was sie tun

«Die Macht der Verwaltung und von Lobbys wird immer grösser.» Diese Aussage hören wir immer wieder. Und auch ich habe den Eindruck, dass er zumindest nicht falsch ist. Unser Politsystem hat massgeblich Anteil daran: Parlamentsmitglieder und die allermeisten kommunalen Exekutiv- und Behördenmitglieder arbeiten milizamtlich.

Es ist also weniger die Schuld der Verwaltung oder von Lobbys, dass sie über grossen Einfluss verfügen, sondern es ist der Wille der Politik, sich selber zu limitieren, da milizamtliche Politiker naturgemäss über weniger Ressourcen und – nicht immer, aber doch häufig – über weniger Erfahrung und weniger Fachwissen verfügen. Als Gemeinderat war ich schon mehr als einmal an Sitzungen, in denen ein Exekutivmitglied erklärt hat, es verstehe zu wenig von der Sache und übergebe deshalb das Wort der Verwaltung. Ebenfalls mehr als einmal gehört habe ich die Aussage: «Ich habe keine Zeit, mich damit zu befassen, ich bin schliesslich nur nebenamtlich tätig.» Vertrauenserweckend ist das nicht. Und mit Verlaub: Manchmal merkt man Entscheiden an, dass sie vor einem solchen Hintergrund getroffen wurden.

 

 

Als Parlamentsmitglied gibt man immer wieder zu Vorlagen seine Stimme ab, die man nicht im Detail kennt. Das ist aufgrund der Komplexität nicht anders möglich. Kompensiert wird dieses Defizit durch Kommissionen und Ausschüsse sowie einzelne Fraktionsmitglieder, die sich stellvertretend mit der Materie befassen und eine Empfehlung abgeben. Trotzdem beschleicht mich auch im Parlamentsbetrieb regelmässig das Gefühl, dass die inhaltliche Vertiefung und das Hintergrundwissen nicht in jedem Fall der Wichtigkeit des zu fällenden Entscheids angemessen sind. Kurz und gut: Es geht um die Qualität der politischen Entscheidungsfindung und letztlich um die Qualität der Politik selber. Landläufig herrscht in der Schweiz der Eindruck, wir hätten das beste System der Welt und die vollkommenste Demokratie. Doch vor lauter Traditionsbewusstsein, vor lauter Glorifizierung des Milizsystems in 1. August-Reden und sonstwo, wird verklärt und tabuisiert, dass die Realität im 21. Jahrhundert anders und nüchterner aussieht. Mein Fazit ist: Unser System ist reformbedürftig. Das Milizsystem muss nicht abgeschafft, aber angepasst werden. Die Politik muss mit mehr Ressourcen ausgestattet werden. Die Zeit der Ehrenämter ist vorbei. Professionalisierung, Teil- oder Vollamtlichkeit dürfen keine Schimpfwörter sein. Der Stellenwert und die Wertschätzung müssen höher sein.

 

 

Das Thema mag nicht sexy sein. Ich halte es aber für wichtig, gerade auch aus linker Sicht. Es ist vor allem die Linke, die am bestehenden System „leidet“ und geschwächt wird. Der Primat der Politik kann nur durchgesetzt werden, wenn die Politik dazu auch in der Lage ist. Daran haben viele Verbände, Lobbys und bürgerliche Parteien kein Interesse. Unser Interesse ist es aber, dass diejenigen, die dafür gewählt sind, auch tatsächlich und seriös ihre Verantwortung wahrnehmen (können).